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Pressespiegel & Aktuelles - Archiv von Wolfgang Schuster
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Ab Sommer wird Strom verkauft
Eon Mitte wird EAM: Das Geschäft, die Kunden, die Perspektiven
VON BIRGIT HEIMRICH
Wetzlar/Dillenburg. Es ist vollbracht, kurz vor Weihnachten sind die letzten Verträge unterzeichnet worden, die Eon Mitte AG hat endgültig ihren Besitzer gewechselt. Die Netzgesellschaft gehört nun zu 100 Prozent zwölf Landkreisen und einer Stadt. Durch ihre Leitungen werden rund 1,5 Millionen Menschen in über 200 Kommunen und vier Bundesländern mit Energie versorgt. Ab Sommer können sie EAM-Strom kaufen. Das Geschäft, die Kunden, die Perspektiven:
Warum hat der Energieriese Eon seine Tochtergesellschaft Eon Mitte überhaupt verkauft?
Eon braucht Geld. Der Konzern ist gebeutelt vom Atomausstieg, sitzt auf einem hohen Schuldenberg, die Aktien sind unter Druck. Die „Mitte“ ist die dritte der sieben Regionaltöchter in Deutschland, die Eon 2013 an Kommunen verkauft hat. Weitere Verkäufe – unter anderem im Italien – sind geplant. Das Ziel: 20 Milliarden Euro locker machen für den Kraftwerksbau in aller Welt. Damit lässt sich mehr Geld verdienen als mit dem deutschen Netz. Außerdem: Die regionale Konkurrenz macht Druck: Eon Mitte hat in den letzten Jahren etliche Konzessionsverträge (mit Städten und Gemeinden für die Überleitung von Strom und Gas) an Stadtwerke verloren. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf haben zehn Kommunen Verträge mit den Stadtwerken. Aber: Alle Hinterländer sind der Eon Mitte treu geblieben.
Wem gehört die Eon Mitte nun?
Zwölf Landkreisen in Hessen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie der Stadt Göttingen. In Mittelhessen sind Marburg-Biedenkopf und der Lahn-Dill-Kreis dabei.
Was haben sie gekauft?
Das komplette Aktienpaket, das der Mutterkonzern an der Eon Mitte hatte – mit einer Ausnahme: dem Vertrieb (ca. 5 Prozent). Das heißt: Die rund 700.000 Strom- und Gaskunden bleiben bei Eon, sie werden weiterhin von dem Konzern mit Energie beliefert.
Den neuen Eigentümern gehört das 45.000 Kilometer lange Strom- und 4.800 Kilometer lange Gasnetz, durch das diese Energie fließt. Dafür bezahlt Eon ihnen künftig Netzentgelt. Zum Kaufpaket gehören außerdem weitere Eon-Mitte-Töchter und Beteiligungen.
Was hat der Ganze gekostet?
Rund 617 Millionen Euro. Der Anteil für Marburg-Biedenkopf beträgt 46,8 Millionen Euro (7,6 Prozent).
Wie wurde der Kauf abgewickelt und finanziert?
Die Kommunen haben Eon Mitte nicht selbst gekauft, sondern – über mehrere Vorschaltgesellschaften – die EAM GmbH gegründet. Der Name steht für Energie aus der Mitte und knüpft an die alte EAM (Elektrizitäts-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland) an, dem Vorläufer der Eon Mitte.
Diese neue EAM hat den Kauf komplett über Bankkredite finanziert (Laufzeit 20 Jahre). Die Kommunen bürgen für die Kredite. Die Kreishaushalte werden finanziell nicht belastet.
Warum haben die Kommunen überhaupt gekauft?
Sie hielten zusammen schon rund 27 Prozent der Eon-Mitte-Aktien, Eon hatte 73 Prozent. Als Altaktionäre hatten sie ein Vorkaufsrecht. Das haben sie wahrgenommen. Ihr Hauptargument: Kontrolle über das Netz erhalten, Arbeitsplätze sichern, die Gewinne dem Gemeinwohl zuführen. Und: Kein Konzern, ausländischer Investor oder Hedgefonds kann das Netz ausbeuten, Geld abziehen und die Infrastruktur verkommen lassen.
Bekommt der Landkreis nun mehr Geld?
Nein. Die Eon Mitte schüttete bisher rund 45 Millionen Euro Dividende pro Jahr aus. Zwölf Millionen Euro gingen an die zwölf Landkreise und Göttingen. Der Anteil für Marburg-Biedenkopf: 900 000 Euro. Das bleibt auch die nächsten 20 Jahren so. 33 Millionen Euro Dividende bekam bislang die Eon. Mit ihnen wird nun der Kredit abbezahlt. Macht die Gesellschaft mehr Gewinn, soll er als Eigenkapital in der GmbH bleiben. Wenn der Kredit 2034 getilgt ist, können die Eigentümer über die gesamten Gewinne verfügen.
Wer bezahlt für den Erhalt des Netzes?
Alle notwendigen Investitionen werden im laufenden Geschäft erwirtschaftet.
Was ist mit dem Personal der Eon Mitte AG?
Die Eon Mitte hat knapp 1300 Beschäftige. Alle (bis auf die Mitarbeiter des Vertriebs) werden von der neuen EAM GmbH übernommen, der Übergang der Arbeitsverträge findet im ersten Halbjahr 2014 statt. Auch die Geschäftsführung bleibt gleich.
Was ändert sich für die Strom- und Gaskunden der Eon Mitte?
Zunächst gar nicht. Sie bleiben Eon-Kunden, werden weiter von Eon mit Strom- oder Gas versorgt und zahlen ihre Rechnungen weiter an Eon. Sie könnten aber zur EAM wechseln, sobald die neue Gesellschaft ihren eigenen Vertrieb aufgebaut hat und selbst als Strom-Anbieter auftritt.
Wird die EAM das tun?
Ja, die EAM soll kein reiner Netzbetreiber sein, sondern auch ein Energieversorger für Endverbraucher werden. Im Sommer 2014 will die EAM soweit sein und eigene Strom- und Gas-Produkte anbieten.
Können weitere Gesellschafter in die EAM GmbH einsteigen?
Ja, die zwölf Kreise und die Stadt Göttingen wollen 50,1 Prozent der EAM behalten und bieten 49,9 Prozent zum Verkauf an. Der Preis: rund 460 Millionen Euro. Das Angebot gilt zunächst die Kommunen, die Konzessionsverträge mit der Eon Mitte haben. Das sind aktuell 127 Verträge für Strom und 83 Verträge für Gas. Weitere 106 neue Strom-Konzessionsverträge sind im Kreis Altenkirchen (Rheinland-Pfalz) unterschrieben. Alle Konzessionskommunen bekommen für die Überleitung der Energie durch ihre Gemarkung ein Entgelt von der Netzgesellschaft. Im Jahr 2012 hat die Eon Mitte dafür 41 Millionen Euro ausgegeben.
Gibt es schon Städte und Gemeinden, die sich in die neue EAM GmbH einkaufen wollen?
Ja, schon im Sommer 2013 haben 128 Kommunen schriftlich ihr Interesse erklärt. Im Landkreis sind elf und im Hinterland alle dabei. Die Interessenten haben einen Ausschuss gegründet, in dem Dautphetals Bürgermeister Bernd Schmidt diejenigen aus Marburg-Biedenkopf vertritt. Ein Wirtschaftsprüfer ist beauftragt, die Rentabilität einer EAM-Beteiligung für die Kommunen auszurechnen. Das soll bis Sommer fertig sein.
Lohnt es sich denn für eine Stadt oder Gemeinde, EAM-Anteile zu kaufen?
Nicht von heute auf morgen, aber auf lange Sicht, sagt Bernd Schmidt. Er sieht die EAM als historische Chance, sich an einem echten kommunalen Energieversorger zu beteiligen. Als Anteilseigner bekommt eine Gemeinde zusätzlich zu dem Entgelt für die Überleitung von Strom oder Gas auch noch Dividende. Aber: Eine Kommune, die Anteile kaufen will, darf das nicht komplett auf Pump tun, sondern muss zehn Prozent Eigenkapital einbringen. Schmidt argumentiert: Man finanziert einmalig und hat über Jahre Anteil am Gewinn. Das rechne sich langfristig auf jeden Fall.
Rechnet es sich die Rekommunalisierung für die Verbraucher? Wird der Strom billiger, wenn die Eon Mitte den Kreisen gehört?
Nein, jedenfalls nicht, solange die EAM als reine Netzgesellschaft ihr Geld damit verdient, dass andere Strom und Gas durch ihre Leitungen schicken. Die Vergütung dafür ist staatlich festgelegt und hat nichts mit den Energiepreisen zu tun. Erst wenn die EAM selbst Energie verkauft, wenn sie also neben dem Netzgeschäft noch Strom- und Gasanbieter wird, kann sie eigene Preise für eigene Produkte festlegen.
Ob eine kommunale EAM am Ende knapper kalkuliert und Energie günstiger an die Kunden bringt als ein Großkonzern, bleibt allerdings abzuwarten.
Wetzlarer Neue Zeitung vom Freitag, 3. Januar 2014, Seite 19