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Pressespiegel & Aktuelles - Archiv von Wolfgang Schuster

Beachten Sie bitte, dass dieser Artikel vor 3111 Tagen veröffentlicht wurde.

Deutschland

BERLINER ERKLÄRUNG sozialdemokratischer Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen zur Flüchtlingspolitik in Deutschland

Die Kommunen stehen mit dem Bund und den Ländern vor der herausragenden Aufgabe, hunderttausende Flüchtlinge und Zuwanderer in Deutschland aufzunehmen.
Der Schwerpunkt der Aufgabenbewältigung liegt dabei in den Kommunen. Sowohl bei der Unterbringung als auch bei der sozialen und schulischen Betreuung sowie der Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft sind die Kommunen besonders gefordert. Wir wollen den sozialen Frieden erhalten, die Akzeptanz der Bevölkerung fördern und damit die Willkommenskultur unterstützen. Dazu müssen wir die Chancen der Zuwanderung benennen, ohne die Herausforderungen und Belastungen zu beschönigen.

Wir danken den vielen freiwilligen Helfern und Helferinnen in zahlreichen Organisationen für ihr überwältigendes Engagement. Ohne diese Solidarität wäre die Aufgabe nicht zu bewältigen. Wir verurteilen Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge. Die Täter stehen außerhalb unserer gesellschaftlichen Grundordnung und müssen mit allen Mitteln des Rechtsstaates verfolgt werden. Wir begrüßen die Maßnahmen, die im Koalitionsausschuss abgestimmt worden sind, als einen wichtigen ersten Schritt. Wir erwarten eine zügige Verständigung mit den Ländern und eine sofortige Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Die Kommunen sind weder für den gegenwärtigen Flüchtlingsstrom noch für dessen Verursachung verantwortlich und können die weitere Entwicklung nicht steuern. Die Kommunen erwarten vom Bund und der Europäische Kommission,

  • umgehend eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa sicherzustellen und „Hot Spots” als europäischen Zentren an Europas Grenzen zur Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge einzurichten,
  • Fluchtursachen in Herkunftsländern unter Einbeziehung der internationale Gemeinschaft mit den USA und den arabischen Staaten wirksam zu bekämpfen,
  • die ungesteuerte Einwanderung zu begrenzen
  • und mit einem Sondertreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs schnelle Entscheidungen zu treffen.

Wir wollen auch künftig unseren Beitrag zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern leisten. Wenn sozialer Frieden und gesellschaftliche Solidarität erhalten bleiben sollen, darf die Leistungsfähigkeit von Staat und Gesellschaft nicht überfordert werden. Die erneute Einrichtung von Grenzkontrollen kann keine dauerhafte Lösung sein. Vielmehr ist umgehend ein geschlossenes Konzept der Bundesregierung vorzulegen, aus dem erkennbar wird, wie die vor uns liegenden Aufgaben kurz-, mittel- und langfristig bewältigt werden können. Dazu gehört auch ein Einwanderungsgesetz, das Zuwanderung steuert, legale Arbeitsmigration ermöglicht und das Asylverfahren entlastet. Gleichzeitig zu den internationalen Maßnahmen sind aus Sicht der Städte, Kreise und Gemeinden folgende Schritte unverzüglich im Rahmen des nächsten Flüchtlingsgipfels umzusetzen:

  1. Bundesbeteiligung an Kosten: Ab 2016 soll sich der Bund strukturell, dauerhaft und umfassend an den Aufnahmekosten beteiligen. Besonders sinnvoll ist eine pauschale Kostenbeteiligung pro Flüchtling und entsprechend angepasst für unbegleitete Minderjährige. Die jährlichen Durchschnittskosten belaufen sich auf rund 12.500 € pro Erwachsenen und auf rund 35.000 € pro unbegleiteten Jugendlichen.
  2. Weiterleitung der Flüchtlinge an Kommunen: Die Aufnahmekapazitäten in den Erstaufnahmestellen sind zu erhöhen und die Asylverfahren innerhalb von 3 Monaten abzuschließen. Solange müssen zumindest die Betroffenen mit geringer Bleibeperspektive in den Ersteinrichtungen verbleiben. Das Personal im BAMF ist (auch durch Reaktivierung von Ruhestandsbeamten) aufzustocken. Die verfahrenstechnische Unterscheidung zwischen Flüchtlingen mit guter und solchen mit geringer Bleibeperspektive kann ebenfalls zur Beschleunigung beitragen. Abgeschlossene Verfahren müssen vollzogen werden. Auch in Notunterkünften muss eine sichere Registrierung erfolgen.
  3. Unterbringung: Erforderlich ist eine deutliche Aufstockung des Wohnungsbauprogramms des Bundes im sozialen Wohnungsbau um 1,5 Mrd. Euro. Um Unterkünfte kurzfristig bereitstellen zu können, sind temporäre Erleichterungen bei bau-, umwelt- und vergaberechtlichen Vorschriften notwendig. Vor Wintereinbruch müssen winterfeste Unterbringungen geschaffen werden. Die Nutzung von Bundesliegenschaften muss erleichtert werden.
  4. Sprache und Arbeitsmarkt: Eine frühe Öffnung von Sprachkursen für Asylbewerber ermöglicht eine schnellere Integration. Essenziell ist die schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Die Qualifikation von Flüchtlingen muss frühzeitig festgestellt werden, im Ausbildungsbereich muss die Anschlussbeschäftigung ermöglicht werden. Die notwendige Ausstattung der Jobcenter ist unerlässlich.
  5. Gesundheitsversorgung: Die oftmals traumatischen Fluchterfahrungen ziehen umfassende Behandlungen nach sich. Die Bundesregierung muss kurzfristig unter Einbeziehung der Krankenversicherung eine Lösung finden, die die Kommunen von den Kosten freistellt.
  6. Lage von Ländern und Kommunen: Die Vereinbarungen von Bund und Ländern müssen die kommunale Leistungs- und Handlungsfähigkeit verbessern. Entlastungen des Bundes müssen dort, wo die Kommunen die Kosten tragen, auch uneingeschränkt an die Kommunen weitergegeben werden. Die Aufnahme und Versorgung bedarf einer gesamtstaatlichen Anstrengung. Nur so kann sichergestellt werden, dass Maßnahmen des Bundes und der Länder zur Verbesserung der kommunalen Finanzen durch dynamisch wachsende zusätzliche Flüchtlingskosten nicht wieder aufgezehrt werden. Die in vielen Ländern bestehenden Schutz- und Rettungsschirme verlieren ihre Funktion, wenn die Kosten der Flüchtlingsunterbringung und Integration von den Kommunen getragen werden müssen. Die ohnehin stark divergierenden Lebensverhältnisse gehen weiter auseinander.
  7. Bei den Zusatzaufgaben der Länder und Kommunen, insbesondere im Bereich der Bildung, müssen gesonderte Unterstützungen und Programme erfolgen. Angesichts der Bedeutung der schulischen Integration sollte der Bund u. a. umgehend wieder Mittel für die Schulsozialarbeit zur Verfügung stellen. Notwendig ist auch eine stärkere Förderung und Koordinierung zivilgesellschaftlichen Engagements.
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