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Pressespiegel & Aktuelles - Archiv von Wolfgang Schuster

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Die Anti-Schneckentempo-GmbH

GLASFASERNETZ Zwei Landkreise gründen Unternehmen für schnelles Internet

VON JÖRGEN LINKER

Wetzlar/Dillenburg/Biedenkopf. Eigentlich darf der Staat das nicht. Eigentlich dürfen der Lahn-Dill-Kreis, der Landkreis Marburg-Biedenkopf sowie die Städte und Gemeinden keine Unternehmen gründen und damit der Privatwirtschaft Konkurrenz machen. Sie tun es trotzdem. Denn: Keine Firma wollte es in die Hand nehmen, niemand sonst wollte die Bewohner der beiden Kreise mit schnellem Internet versorgen. Die Telekom nicht, Vodafone nicht, Unitymedia nicht, E.on nicht.

Nun machen es die beiden Landkreise sowie die Städte und Gemeinden selbst, mit eigenen GmbHs. Diese zwei Gesellschaften wollen in beiden Kreisen je 43 Millionen Euro investieren. Mit dem Geld sollen jeweils 550 Kilometer Rohre unterirdisch zu den Verteilerkästen (zirka 950 im Lahn-Dill-Kreis) in den Ortschaften verlegt und Glasfaserkabel hindurch gezogen werden – die Leitungen, die Datenmengen von mindestens 25 bis 50 Mbit pro Sekunde übertragen können (siehe Kasten), das schnelle Internet für die Bürger und die Firmen.

Der Lahn-Dill-Kreis will für dieses Projekt die „Lahn Dill Breitband GmbH“ gründen. Der Kreistag hat am vergangenen Montag zugestimmt, alle Parteien waren dafür.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Lahn-Dill hat die Entscheidung prompt gelobt. „Hochgeschwindigkeitsnetze sind als Standortfaktor von enorm großer Bedeutung, erklärte der stellvertretende IHK-Geschäftsführer Burghard Loewe am Tag nach der Abstimmung.

Seit Jahren beschweren sich Bürger und Unternehmer über die lahmen Internetverbindungen in Mittelhessen. Doch für die eigentlichen Netzbetreiber wie die Telekom rentiert sich ein eigenes Glasfasernetz auf dem Land nicht so sehr wie in Großstädten: Die Kabelstrecken sind zu groß, die Zahl der Verbraucher ist zu gering.

Die Bundesregierung hatte zwar eine Initiative gestartet: Bis 2015 sollen 75 Prozent der deutschen Bevölkerung mit schnellem Internet ausgerüstet sein. Aber Marburg-Biedenkopf-Landrat Robert Fischbach (CDU) stellte lapidar fest: „Wir, die ländlichen Räume, sind mit den 25 Prozent gemeint, die unberücksichtigt bleiben sollen.“ Ein schnelles Netz sei jedoch unabdingbar, wenn man Betriebe im Landkreis halten oder dahin locken wolle. Außerdem sei es inzwischen auch bei der Wohnungswahl oder einem Gebäudekauf ein entscheidender Faktor für Familien.

Also starteten die mittelhessischen Kommunalpolitiker eigene Initiativen, wollen selbst ein Glasfasernetz aufbauen und später an Telekom oder andere Betreiber vermieten.

Lahn-Dill-Kreis und Landkreis Marburg-Biedenkopf holten sich Rat von der Firma „Broadband Academy“. Sie berechnete: Es müssen jeweils 550 Kilometer Glasfaserkabel verlegt werden und dafür jeweils 43 Millionen Euro investiert werden. Für beide Kreise dieselben Zahlen. Zum Vergleich für die Länge des Glasfasernetzes: Im Landkreis Marburg-Biedenkopf existieren 587 Kilometer Bundes- und Kreisstraßen.

Nach 17 Jahren sollen die Investitionen von 43 Millionen Euro verdient sein

Die Ausschreibung der Arbeiten sollen demnächst die beiden GmbHs erledigen. Die Finanzierung der Arbeiten, also die jeweils 43 Millionen Euro, erwarten die beiden Gesellschaften als Darlehen von der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen. Die Zusage stehe bereits.

Im Landkreis Marburg-Biedenkopf steht auch schon die GmbH. Der Kreis sowie 21 Städte und Gemeinden (alle außer der Stadt Marburg) haben bereits im November die „Breitband Marburg-Biedenkopf GmbH“ ins Leben gerufen. Die Stadt Marburg schafft für ihre Bürger eine eigene Versorgung mit schnellem Internet.

Im Lahn-Dill-Kreis können sich die Städte und Gemeinden noch bis zum 28. Februar entscheiden, ob sie sich der „Lahn-Dill Breitband GmbH“ anschließen. Die IHK fordert sie dazu auf.

Wer nicht mitmacht, muss sich in seinem Gebiet selbst um schnelles Internet für seine Bürger kümmern – oder es lassen. Nicht dabei ist die Gemeinde Lahnau, sie hat sich im Herbst der „Breitband Lahnau GmbH“ angeschlossen – einer Gesellschaft, eng verbunden mit der Breitband-Initiative im Kreis Gießen.

Bedenken hatte zuletzt der Haigerer Bürgermeister Gerhard Zoubek (SPD). Er nimmt zur Kenntnis, dass Glasfaserkabel bis zu den Verteilerkästen in den Ortschaften verlegt wird, befürchtet aber, dass die Telekom für ihr eigenes Netz von den Verteilerkästen bis zu den Hausanschlüssen bloß noch Kupferleitungen bietet – die nicht so eine große Datenmenge übertragen könnten wie das Glasfaser zwischen den Orten. Kurzum: dass das Internet in den Wohnhäusern im Lahn-Dill-Kreis doch nicht ganz so schnell sein wird.

Jede Stadt und jede Gemeinde muss zudem einen Beitrag zum Stammkapital der GmbH leisten, je nach Einwohnerzahl. Für Haiger sind 194 300 Euro fällig, für Herborn 209 600 Euro, für Dillenburg 240 650 Euro, für Wetzlar 527 050 Euro und so weiter. Unterm Strich sollen die 22 Lahn-Dill-Städte und -Gemeinden insgesamt 2,5 Millionen Euro beitragen, der Kreis steuert weitere 2,5 Millionen Euro zum Stammkapital der GmbH zu.

Müssten die Städte und Gemeinden den Bau eines Glasfasernetzes innerhalb ihres Gebietes selbst betreiben, kämen allerdings zunächst hohe Investitionskosten auf sie zu. Die Kreisverwaltung hat eine Liste vorgelegt, zum Beispiel: 1,3 Millionen Euro in Greifenstein, 1,7 Millionen Euro in Eschenburg, 2,9 Millionen Euro in Haiger, 1,8 Millionen Euro in Hüttenberg, 2,4 Millionen Euro in Sinn, 8,9 Millionen Euro in Wetzlar.

Steht schließlich die „Lahn Dill Breitband GmbH“, wollen Lahn-Dill und Marburg-Biedenkopf einen gemeinsamen Geschäftsführer für beide Gesellschaften suchen, und die IHK Lahn-Dill will eine Geschäftsstelle zur Verfügung stellen. Wichtigste Aufgaben der Geschäftsführung: Die Arbeiten ausschreiben und einen späteren Betreiber, also Mieter, für das Glasfasernetz finden.

Nach 17 Jahren soll die Gesellschaft erste Gewinne erzielen. Dann sollen die Investitionen von 43 Millionen Euro plus die Geschäftskosten durch die Vermietung des Glasfasernetzes verdient sein. Die Tilgung des Darlehens soll über 22 Jahre erfolgen. Anschließend kann das Netz verkauft und die GmbH aufgelöst werden. Oder die GmbH kann das Netz weiterhin an einen Betreiber vermieten.

Wetzlarer Neue Zeitung vom Sonntag, 10. Februar 2013, Seite 5



 

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