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Pressespiegel & Aktuelles - Archiv von Wolfgang Schuster

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"Es gibt kein Nullrisiko"

Lahn-Dill-Kliniken ziehen Konsequenzen aus Kritik

Wetzlar/Dillenburg. Haben die Lahn-Dill-Kliniken ein Keim-Problem? Vor Millionen-Publikum sind die drei Kreiskrankenhäuser durch das ARD-Magazin "Report Mainz" in Verruf geraten. Jetzt legte Geschäftsführer Richard Kreutzer erstmals Zahlen offen. Es gebe keine Auffälligkeiten, sagte Kreutzer im Gespräch mit uns.

Sie sind die Seuche der Neuzeit: Mit hochgefährlichen multiresistenten Keimen (MRSA), gegen die fast kein Antibiotikum mehr helfen kann, infizieren sich jedes Jahr rund 800.000 Menschen in Deutschland. Mehrere Tausend kostet die Bazille das Leben.

Einen hundertprozentigen Schutz gegen den gemeinen Erreger gibt es nicht, in keinem Krankenhaus der Welt. Doch der kritische Beitrag des TV-Magazins über die Schicksale zweier Patienten mit MRSA-Infektionen in Wetzlar und Dillenburg hat die Lahn-Dill-Kliniken und deren Hygienezustand in einem besonders schlechten Licht dastehen lassen.

Auch diese Zeitung hat wiederholt über MRSA-Fälle berichtet, zuletzt auch über die 75-jährige Frau, die trotz Keims und miserablen Gesundheitszustands aus dem Klinikum ins Seniorenheim entlassen wurde.

Der Weilburger Patientenanwalt Burkhard Kirchhoff hat schon länger den Eindruck, dass in seiner Kanzlei "gemessen an anderen örtlichen Kliniken mehr Patienten Vorwürfe gegen das Wetzlarer Klinikum erheben möchten". Es gehe um Keime, aber auch um Verdachtsfälle von anderen Behandlungsfehlern. Beweise seien das natürlich keine, betonte Kirchhoff, der vor dem Landgericht Limburg mehrere Verfahren gegen das Wetzlarer Klinikum führt.

"Nach dem TV-Bericht gab es einige Aufregung bei uns im Haus. Wir haben uns in der Berichterstattung nicht wiedergefunden. Bei der Zahl der Belegungen sehen wir aber keine Veränderung", sagte Kreutzer. Den Vorwürfen trat der Geschäftsführer nun entgegen, indem er erstmals Fallzahlen vorlegte.

Laut Infektionsstatistik behandelte das Klinikum Wetzlar-Braunfels stationär im Jahr 2012 insgesamt 277 Patienten mit MRSA - ein Anteil von 1,06 Prozent gemessen an der Gesamtpatientenzahl von 26.445. In Dillenburg waren es 84 Fälle bei 12.014 Patienten (0,7 Prozent). Ob die Patienten innerhalb der Krankenhäuser mit dem Keim infiziert wurden, oder ihn selbst "mitbrachten", verrät die Statistik nicht. "Die Zahl der in Krankenhäusern erworbenen Keime geht zurück", sagte Kreutzer dazu. Der Großteil stamme demnach von außen.

Die Zahlen seien "nicht auffällig", sagte der Ärztliche Direktor des Klinikums Wetzlar-Braunfels, Dr. Erich Lotterer. Beim regelmäßigen Vergleich mit 142 anderen Krankenhäusern liege die Infektionsrate in Wetzlar-Braunfels leicht unter dem Schnitt. Gleiches gelte für die Infektion mit multiresistenten Erregern allgemein, also nicht allein MRSA. 2012 waren das 481 Fälle.

Über strenge Hygienestandards, die nach Klinik-Angaben den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes, der Hessischen Hygieneverordnung sowie den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts entsprechen und permanent weiterentwickelt werden, berichteten im Gespräch Kreutzer, Lotterer sowie Dr. Friedrich Tilkes vom Institut für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle (IKI) Gießen. Das IKI berät und betreut die Lahn-Dill-Kliniken seit 20 Jahren beim Thema Hygiene. Bei der Organisation, aber auch bei Weiterbildung, Bauvorhaben und Technik.

Gibt es sogenannte "blutige Entlassungen" aus Kostengründen? Dem widersprach Landrat Wolfgang Schuster (SPD) als Aufsichtsratsvorsitzender vehement. "Es gibt keinerlei Anweisung, die Patienten so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus rauszuschmeißen", betonte Schuster. Es handele sich ausnahmslos um rein medizinische Entscheidungen.

Gleichwohl räumte der Landrat ein, dass nicht jeder der 38.000 Patienten im Jahr "zufrieden" die Häuser verlässt. Und: "Es gibt kein Nullrisiko." Das Keim-Thema werde sehr ernst genommen, so Schuster: "Die Menschen brauchen keine Angst haben, dass sie die Klinik verkeimt verlassen."

An der Spitze des Hygiene-Managements der Lahn-Dill-Kliniken steht die Hygienekommission, besetzt mit Ärzten, Pflegepersonal, Vertretern des IKI, des technischen Dienstes, des Qualitätsmanagements, der Krankenpflegeschule, Geschäftsführung, Betriebsrats und Gesundheitsamts. Mindestens zweimal pro Jahr werde getagt, berichtete Kreutzer.

Festgehalten ist die Organisation der Hygiene in einer mehr als 200-seitigen Hygieneordnung, die ständig aktualisiert werde. Die Kontrolle hat das Kreisgesundheitsamt. Das Amt gehe auch zu unangemeldeten Kontrollen in die Kliniken. Die Zusammensetzung des Hygienefachpersonals entspreche den Landesvorgaben. Über die gesetzlichen Anforderungen hinaus seien 22 Mitarbeiter als "Hygienebeauftragte in der Pflege" und "Multiplikatoren" weitergebildet worden, so Tilkes. Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter sei ohnehin Standard. Tilkes geht davon aus, dass trotz bester Schutzmaßnahmen nicht mehr als ein Viertel der MRSA-Fälle vermieden werden können.

In den Niederlanden ist es gelungen, den Keim durch generelle Schnelltests bei der Patientenaufnahme zurückzudrängen. So weit will man hierzulande nicht gehen. Die Vorschriften beschränken sich auf das Screening von Risikopatienten, darunter solche, die häufiger behandelt werden, die Katheter in sich tragen, Dialysepatienten oder Viehhalter. Auf den Schnelltest folgt eine mikrobiologische Untersuchung, erst sie liefert laut Tilkes einen sicheren Befund. So empfiehlt es auch das Robert-Koch-Institut. Bei Verdacht auf einen multiresistenten Erreger werde der Patient isoliert, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, sagte Kreutzer. Für die damit verbundenen Extrakosten kämen die Kassen auf.

Ein Gütesiegel und die engere Abstimmung mit niedergelassenen Ärzten

Der Geschäftsführer hat gegenüber dieser Zeitung Konsequenzen aus der Negativ-Berichterstattung angekündigt. So werden sich die Kreiskliniken der strengen Zertifizierung zu einem Hygiene-Fachkrankenhaus unterziehen. Zusammen mit Landrat Schuster will sich Kreutzer innerhalb des Mitte 2011 gegründeten MRE-Netzwerks Mittelhessen für eine engere Zusammenarbeit zwischen Kliniken, niedergelassenen Ärzten, Reha- und Senioreneinrichtungen im Kampf gegen die Keime einsetzen. Der Fall der 75-jährigen Seniorin in Dillenburg hätte anders verlaufen können, wenn das Krankenhaus eingangs hätte durch den Hausarzt oder das Pflegeheim informiert werden können, meinte Kreutzer. Die Frau, bei der eine Magensonde gewechselt wurde, habe den MRSA-Keim bereits in ihrem Bauch getragen - bevor sie in die Klinik kam.

Wetzlarer Neue Zeitung vom 25.10.2013

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