Pressespiegel & Aktuelles
Pressespiegel & Aktuelles - Archiv von Wolfgang Schuster
Beachten Sie bitte, dass dieser Artikel vor 3494 Tagen veröffentlicht wurde.
Kita-Brief von Sigmar Gabriel
Bundesvorstand Sozialdemokratische
Gemeinschaft für Kommunalpolitik
in der Bundesrepublik Deutschland e. V.
Herrn Oberbürgermeister a. D. Norbert Bude
Stresemannstraße 30
10963 Berlin
An die Mitglieder des
Kommunalbeirats beim SPD-Parteivorstand
Lieber Norbert, liebe Genossinnen und Genossen,
ich schreibe Euch heute im Zusammenhang mit dem laufenden Tarifkonflikt über die Gehaltsentwicklung und die Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher. Eine Einmischung in laufende Tarifauseinandersetzungen durch die Bundespartei kann und soll es – aus guten Gründen und unserer demokratischen Tradition entsprechend – nicht geben.
Trotzdem haben mich zahlreiche Mitglieder und MandatsträgerInnen der SPD um ein offenes Wort in dieser Angelegenheit gebeten. Deshalb bitte ich um Euer Verständnis, dass ich Euch mit meinem heutigen Schreiben nicht nur meine persönliche Auffassung zum laufenden Tarifkonflikt mitteile, sondern Euch auch um Eure Unterstützung bitte, um eine tragfähige Lösung zu finden, die unsere grundsätzlichen politischen Werte und Haltungen widerspiegeln.
Denn es geht um eine Frage von großer gesellschaftspolitischer Tragweite und auch um die Glaubwürdigkeit der SPD mit Blick auf unsere Forderung nach einer besseren Bezahlung in den erzieherischen, sozialen und pflegerischen Berufen, die meist Frauenberufe sind. Gerade die Initiativen der SPD-MinisterInnen in der Bundesregierung und der SPDBundestagsfraktion für „gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“ bei Frauen und Männern zielt ja gerade auf eine bessere Bezahlung in diesen Berufen ab. Die europaweit skandalöse Schlechterbezahlung von Frauen gegenüber Männern in Deutschland hat ja ihren tieferen Grund in der traditionell deutlich geringeren Entlohnung genau in diesen leider immer noch typischen Frauenberufen. Ich bin sicher: Wären es klassische Männerberufe, unsere Gesellschaft würde sie längst besser zu bezahlen.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir die Attraktivität dieses Berufes – in materieller wie immaterieller Hinsicht – erheblich steigern müssen.
Wenn wir das Prinzip ›Equal Pay‹ ernst nehmen, dann müssen wir vor allem die sozialen und pflegerischen Berufe besser vergüten. Dazu zählen auch die Erzieherinnen und Erzieher. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass diese hochwertige und fachlich anspruchsvolle Tätigkeit als schlecht bezahlter sogenannter „Frauenberuf“ etikettiert wird.
Heute liegt der Anteil männlicher pädagogischer Fachkräfte in Kitas bei nicht einmal 2,5 %. Das zu ändern ist eine wirklich wichtige bildungs-, gleichstellungs- und gesellschaftspolitische Aufgabe für uns Sozialdemokraten, gleich, ob wir auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene Verantwortung tragen.
Die fehlende Gleichbehandlung dieser Berufe beginnt übrigens bereits bei der Ausbildung: Es erscheint mir anachronistisch, dass diese Berufe immer noch schulische Ausbildungsberufe sind und nicht normale Berufe nach dem Berufsbildungsgesetz mit Ausbildungsvertrag und Ausbildungsvergütung vom ersten Tag an.
Wie wichtig die Arbeit z. B. in den Kindertagesstätten ist, wissen wir alle spätestens, wenn unsere eigenen Kinder dort oftmals im wahrsten Sinne des Wortes „ihre ersten Schritte“ gehen. Wie viele von Euch, habe ich in den letzten drei Jahren täglich erleben dürfen, wie sehr meine jüngste Tochter vom pädagogischen Engagement in ihrer „Kita“ profitiert. Wenn der bedarfsgerechte Ausbau der frühkindlichen Bildung gelingen soll, dann muss unsere Gesellschaft bereit sein, pädagogische Fachkräfte in leistungsgerechter Weise zu entlohnen. Nur so werden Kommunen und freie Träger im erforderlichen Umfang qualifiziertes Personal gewinnen können. Erhöhte – auch finanzielle – Anstrengungen sind Investitionen in die Zukunft. Sie sind unverzichtbar, um Chancengerechtigkeit für Kinder zu verwirklichen. Die Wertschätzung des ErzieherInnenberufes berührt nicht zuletzt die Lebenschancen von Eltern und Familien, weil nur ein bedarfsgerecht ausgestattetes System früher und individueller Förderung von Kleinkindern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sichert.
Mir ist sehr bewusst, welche Anstrengungen gerade sozialdemokratische Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in den letzten Jahren unternommen haben, um diesen so wichtigen Berufsstand aufzuwerten und angemessen zu bezahlen. Die laufende Tarifrunde sehe ich als Chance, auf diesem Weg ein weiteres Stück voran zu kommen.
Ich darf Euch versichern, dass mir sehr bewusst ist, in welch angespannter Haushaltslage sich viele Kommunen derzeit befinden. Und ich denke, die SPD hat auf Bundesebene gerade in den letzten Jahren gezeigt, wie ernst sie es mit der kommunalen Entlastung meint. Die Bundespartei wird daher nicht in ihrem Bemühen nachlassen, für die kommunalen Haushalte zu spürbaren Entlastungen, z. B. im Zusammenhang mit den Kosten der Flüchtlingsunterkunft, zu kommen.
Lassen wir nicht zu, dass eine Gruppe gegen die andere ausgespielt wird. Lasst uns gemeinsam klarmachen, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an der Seite der Erzieherinnen und Erzieher stehen, wenn es um die Anerkennung und die gerechte Entlohnung ihrer Arbeit geht.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel