Pressespiegel & Aktuelles

Pressespiegel & Aktuelles - Archiv von Wolfgang Schuster

Beachten Sie bitte, dass dieser Artikel vor 3445 Tagen veröffentlicht wurde.

Rede zum Volkstrauertag am 15.11.2014 in Wetzlar

Meine Damen und Herren,

das Jahr 2014 ist das Jahr der Gedenktage

  • Vor 100 Jahren begann der 1. Weltkrieg
  • Vor 75 Jahren begann der 2. Weltkrieg
  • Vor 25 Jahren fiel in Berlin die Mauer. Die Teilung Deutschlands, Europa, der kalte Krieg, fanden ein Ende.

Geschichte Volkstrauertag

Aufgrund des 1. Weltkrieges gründete sich 1919 der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge. 1922 fand der erste Gedenktag statt, der vom Volksbund ins Leben gerufen wurde.

Die Bestattung der Toten, die Pflege der Kriegsgräber und der Massengräber ist noch heute Aufgabe des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Ich sage Ihnen das als Vorsitzender des Kreisverbandes des Volksbundes.

Wir denken heute an fast 72 Millionen Menschen, die im 1. und 2. Weltkrieg starben.
17 Millionen Soldaten und Zivilisten starben im 1. Weltkrieg.
55 Millionen Soldaten und Zivilisten starben im 2. Weltkrieg.
Die ersten Schüsse der beiden Weltkriege geben deutsche Soldaten ab.

Unter den 72 Millionen Opfern waren 9 Millionen Deutsche, d.h. 63 Millionen Menschen waren nicht deutscher Nation. Darunter etwa 20 Millionen Menschen aus Russland und den umliegenden Staaten.

Ich möchte schwerpunktmäßig in meiner Ansprache auf den 1. Weltkrieg und die heutige Situation eingehen.

Das vergleichsweise geringe Interesse am 1. Weltkrieg in Deutschland erklären Historiker unter anderem mit den größeren Schrecken, Opfern und Zerstörungen im 2. Weltkrieg. Der 1. Weltkrieg fand im Wesentlichen nicht auf deutschem Boden statt. Deutschland war kein Schlachtfeld.

Der 1. Weltkrieg war der erste industriell geführte Massenkrieg der Menschengeschichte. Zeppeline, Flugzeuge, die Dicke Berta, Panzer, Kettenfahrzeuge, Giftgas ersetzten die Kavallerie.
Der 1. Weltkrieg war auch der erste Medienkrieg. Die Propaganda radikalisierte die Auseinandersetzung „Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“.
Am Ende befand sich ¾ der Weltbevölkerung im Kriegszustand. Der 1. Weltkrieg war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Anfang 1914 herrscht Frieden in Europa. Unter der Oberfläche brodelt es bereits. Gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen waren überfällig. Die Menschen verlangten nach Umwälzungen.

Zeitraffer:

Am 28. Juni 1914 wurden in Sarajewo der österreichische Thronfolger und dessen Frau von einem Serben mit zwei Schüssen getötet.
Österreich erklärt Serbien den Krieg.
Deutschland war mit Österreich und Russland mit Serbien verbündet.

Am 1. August 1914 erklärte Deutschland Russland und am 3. August Frankreich den Krieg.
Am 4. August marschierten deutsche Truppen in das neutrale Belgien ein.
Der Schlieffen-Plan sah vor, dass erst Frankreich erobert und dann alle Truppen nach Osten gegen Russland verlegt werden sollten. Er scheiterte.

Am 5. August 1914 bombardierte der Zeppelin „Cölln“ die belgische Stadt Lüttich. Das neutrale Belgien.
Der erste Luftangriff der Kriegsgeschichte richtete sich gegen Zivilisten.

Ende August stoppte Hindenburgs achte Armee bei Tannenberg den Vormarsch der zahlenmäßig überlegenen russischen Truppen auf Berlin. Der Mythos Hindenburg wurde geboren und vermarktet.

Heiligabend 1914 schlossen deutsche und britische Soldaten an der Westfront eigenmächtig einen kurzfristigen Waffenstillstand.

Statt sich zu töten sangen sie Weihnachtslieder und spielten Fußball. Die Generalität war empört.

Am 22. April 1915 setzten deutsche Truppen bei Ypern/Belgien erstmals Giftgas ein. Die Stadt wurde vollständig zerstört.

Vom Attentat am 28. Juni bis zum Einmarsch in Belgien am 4. August 1914 waren fünf Wochen Zeit vergangen.

Der deutsche Kaiser, der englische König und der russische Zar waren Cousins. Direkt verwandt.

Hätte man diese Frage nicht auch anders, d.h. ohne Krieg, regeln können?

Der 1. Weltkrieg bedeutete auch das Ende der Monarchie in Österreich-Ungarn, Deutschland und Russland. Zu Recht!

Im Sommer 1914, zu Kriegsbeginn, war die Gesellschaft aufgeheizt und militarisiert.
Reservisten erzählten bierseelig vom glorreichen Frankreichfeldzug 1871!
Viele junge Männer wollten sich im Kampf beweisen.
Hurra, endlich Krieg!

Stellen wir uns vor, heute vor 100 Jahren hätten wir mit unserem Wissen vor dem Berliner Stadtschloss gegen den Krieg demonstriert. Wir hätten prophezeit, dass diesem Krieg ein nächster folgen wird. Wir hätten davor gewarnt, dass in den nächsten 30 Jahren über 70 Millionen Menschen umkommen werden. Wir fordern zu Gesprächen und Frieden auf. Vermutlich wären wir als vaterlandslose Gesellen beschimpft und eingesperrt worden.

Es gab aber auch damals Widerstand gegen den Krieg.
Die Zustimmung der SPD Reichstagsfraktion am 4. August 1914 zu den Kriegskrediten spaltete die SPD in USPD und SPD.
Sozialdemokraten wollten patriotisch sein und keine vaterlandslosen Gesellen.
Die USPD war gegen den Krieg. Sie wurde 1917 gegründet. Die Wiedervereinigung mit der SPD wurde im September 1922 vollzogen.

„Im Westen nichts Neues“, heißt ein Roman von Erich Maria Remarques.
Der Krieg war für Deutschland und Österreich-Ungarn nicht zu gewinnen.
Der sinnlose Stellungskrieg zermürbte die Soldaten. Sie waren leer, hungrig und ausgebrannt.
Millionen Soldaten verreckten elendig. Hunderttausende deutsche Soldaten wurden im und nach dem 1. Weltkrieg wegen Nervenkrankheiten behandelt. Das permanente Trommelfeuer machte sie seelisch krank.

Auf Verständnis und Hilfe durften sie nicht hoffen.
Simulanten!
Später haben die Nazis einige von ihnen ermordet.
Volksschädlinge – halt.
Ebenso wie die 100.000 deutschen Juden, die für Vaterland und Kaiser gekämpft haben und viele dem Holocaust zum Opfer fielen.

Im Westen nichts Neues:

Der Kaiser dankte ab und floh ins Exil.
Die militärischen Führer Hindenburg und Ludendorff übertrugen die Verantwortung für die Verhandlungen mit dem Feind den von ihnen verachteten demokratischen Politikern in Berlin und erfanden die Dolchstoßlegende.
Sie hätten die Verhandlungen selbst führen sollen.
Dafür waren sie sich wohl zu fein.

Im Juni 1919 zwangen die Siegermächte Deutschland in Versailles den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Deutschland wurde die Alleinschuld aufgetragen, musste Gebiete abtreten und horrende Reparationsleistungen erbringen.

Viele Deutsche fühlten sich nach Kriegsende gedemütigt. Die Not wuchs in den 1920er Jahren weiter
Ein gutes Klima für Hitlers NSDAP

Meine Damen und Herren,
ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass der 2. Weltkrieg eine logische Folge des 1. Weltkrieges war. Der 2. Weltkrieg war von Hitler angekündigt, gewollt, geplant und mit der größten Brutalität gegen die Zivilbevölkerung umgesetzt.
Die Folgen des 1. Weltkrieges haben seine Pläne erleichtert.

Aus Zeitgründen werde ich nicht auf

  • die Weimarer Republik
  • das 1000-jährige Reich
  • den 2. Weltkrieg und den Holocaust
  • den quergescheitelten Idioten aus Braunau am Inn
  • die Spaltung Deutschlands und Europas
  • den Mauerfall vor 25 Jahren und die Wiedervereinigung Deutschlands

eingehen.

Ohne die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts vor 100 Jahren wäre die deutsche-, europäische- und Weltgeschichte sicher anders verlaufen. Vielleicht wären wir nicht hier zum Volkstrauertag. Die drei Cousins hätten es verhindern können!

Was können wir heute, 100 Jahre nach dem Beginn der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts aus den Ereignissen, die vor 100 und 75 Jahren begannen, lernen?

Heute – im Einfluss von weltweiten Konflikten – nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Untergang der Sowjetunion und des Kommunismus, dem Aufstieg der weltweiten Finanzmacht und deren ungezügelten Auswüchsen.

Heute – unter dem Einfluss von ISIS, Flucht, Mord, Salafisten, Vertreibung, Verschleppung, Vergewaltigungen aus religiösen und politischen Gründen, Irak, Syrien, Afghanistan, Libyen, Ägypten, Naher Osten, Krim, Ukraine, Ebola, Klimawandel, Flüchtlinge usw. usw.

Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten.

1.
Die Rückkehr von nationalistischen Bewegungen in den Ländern Europas bereitet mir Sorgen. Wir haben seit nahezu 70 Jahren Frieden in Europa und in Deutschland. Das haben wir nicht den Nationalisten in den Staaten sondern dem Friedensprojekt Europa zu verdanken. Der Balkankrieg in den 90er Jahren war ein Krieg von Nationalisten. Nicht von Europäern.

Die Namen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Valerie Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt stehen stellvertretend für viele Politikerinnen und Politiker. Sie erlebten den Krieg, wussten was Krieg bedeutet. Sie wollten nie mehr Krieg erleben Denn auch der Kalte Krieg war gefährlich.

Albert Einstein sagte:
„Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“

Das Friedensprojekt Europa wurde nach mehr als 70 Millionen Toten begründet. Europa ist mehr als eine Währungs- und Wirtschaftsunion. Europa muss gestärkt werden. Auch militärisch und außenpolitisch. Wir brauchen mehr statt weniger Europa, in großen Linien und nicht bei der Krümmungskurve von Gurken und Bananen.

Das sind wir den Opfern, an die wir heute denken, schuldig.


2.
Den Verbrechern, die derzeit die Welt in Atem halten, muss auch militärisch Einhalt geboten werden. Der Mord aus politischen und religiösen Gründen ist eine Schande!

Mit Kerzen am Fenster und dem Lied „We shall overcome“ schaffen wir das nicht.
Eine europäische Armee wäre eine sinnvolle Antwort – Natürlich gut ausgestattet und mit deutscher Beteiligung. Es ist schon peinlich, wenn wir vier Tage brauchen um Decken, Zelte und Gewehre in die Türkei zu fliegen.

3.
Die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik ist aus den Erfahrungen der Nazidiktatur entstanden.
Diese zu verteidigen, gegen politische oder religiöse Radikale, ist unsere Verpflichtung.
Wir, die Krieg nicht kennen, aber heute Verantwortung tragen, müssen unsere Demokratie schützen.

Auch das sind wir den Opfern, die wir heute gedenken, verpflichtet.

Wir gedenken auch heute Menschen, die bei der Flucht und Vertreibung ihr Leben lassen mussten.

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurden Millionen von Deutschen aus ihren Gebieten in dem heutigen Tschechien und Polen vertrieben.
Vertreibung ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Im Landkreis Wetzlar und im Dillkreis wurden in kurzer Zeit, 1945/46, bei beengten Wohnverhältnissen über 20.000 Menschen aufgenommen und untergebracht. Und diese Menschen haben uns sehr gut getan.

Derzeit sind etwa 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Allein aus Syrien 10 Millionen Menschen. Aus Syrien haben wir 30.000 Menschen aufgenommen. Frankreich 800; 18 Länder in Europa keine.
Das kann so nicht bleiben in Europa!

Die größte Last tragen die Nachbarn Libanon, Jordanien, Türkei.

Im Lahn-Dill-Kreis haben wir derzeit 1200 Flüchtlinge in 60 Unterkünften aufgenommen. Aus aller Welt.
Die Zahl wird weiter steigen.

Wir sollten auch aufgrund der christlichen Nächstenliebe Unterstützung gewähren.
Viele werden anerkannt und dauerhaft hier leben.

Lassen Sie uns diese Menschen nicht als Bedrohung für Wohlstand und Sicherheit sehen, sondern ihnen die Hand für eine erfolgreiche Integration reichen.
Unser Arbeitsmarkt wird in absehbarer Zeit diese Menschen benötigen.
Auch das sind wir den Opfern schuldig, die bei Flucht und Vertreibung starben.

Gandi sagte einmal:
„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn der Frieden ist der Weg.“

Im Gedenken an die 72 Millionen Opfer, um die wir heute trauern, ist es unsere Verpflichtung, auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten den Weg des Friedens und der Demokratie zu gehen und ihn gegen seine Feinde zu verteidigen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

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